Positive Energiebilanz

Das Prinzip der Energiebilanz basiert auf einem theoretischen Vergleich von Energiezufuhr und Energieverbrauch. Die Energiezufuhr erfolgt durch die Nahrungsaufnahme. Der Energieverbrauch besteht aus den 3 Komponenten:

  1. Grundumsatz,
  2. Thermogenese und
  3. körperliche Aktivität.

Zur Erklärung der Adipositas wird häufig das Prinzip der positiven Energiebilanz herangezogen. Es besagt,

dass die Energiezufuhr höher ist als der Energieverbrauch. Die Folge ist eine Gewichtszunahme.

Wird dem Organismus so viel Energie zugeführt wie verbraucht wird, bleibt das Gewicht konstant, und man spricht von einer ausgeglichenen Energiebilanz. Entsprechend führt eine Unterbilanzierung zu einer Gewichtsabnahme.

Die Energiebilanzierung als Erklärung für Gewichtszunahme und Gewichtsabnahme ist nicht unumstritten. Eine Vereinfachung des Bilanzprinzips in dem Sinne, daß jegliche Energiedifferenz zu Gewichtsveränderungen führt, ist nicht zulässig. Es gibt Hinweise, daß Übergewichtige nicht mehr Nahrung zu sich nehmen als Normalgewichtige (Spitzer & Rodin 1981). Gries, Berchtold, Berger (1976, zitiert nach Wirth, 1997) weisen darauf hin, daß die Energieaufnahme deutlich unterhalb des täglichen Kalorienverbrauchs liegen muß, um eine Gewichtsabnahme zu erreichen.

In einer Studie von Sims et al. (1968) wurden neun freiwillige Insassen eines Gefängnisses erheblich überernährt, bis ihr Gewicht um 15 – 25 % anstieg. Um diese Gewichtszunahme zu erreichen, waren 6000 – 10000 kcal/Tag notwendig. Es wurde festgestellt, daß „Überschußkalorien“ notwendig waren, um diesen Anstieg zu ermöglichen. Darüber hinaus ergab sich keine signifikante Beziehung zwischen Kalorienaufnahme und Gewichtszunahme.

Dieser Fehlbetrag bei der rechnerischen Energiebilanzierung wird auf verschiedenste Faktoren zurückgeführt. Häufig wird dabei auf eine „Luxuskonsumption“ verwiesen. Dieser Begriff wurde 1902 von Neumann in die Literatur eingeführt. In Selbstversuchen stellte Neumann (1902, zitiert nach Wirth, 1997) fest, daß eine vermehrte Nahrungszufuhr von 1000 kcal/Tag über mehrere Wochen zu keiner Gewichtsveränderung führte.

Pudel (1982) zweifelt den Wert des Bilanzprinzips für Theorie und Praxis an. Das Bilanzprinzip sei genausowenig stimulierend, wie „die analoge Behauptung, die „Ursache“ des Alkoholismus sei der überhöhte Alkoholkonsum“ (Pudel 1982, S. 1).

Nach Pudel (1982) sollte man sich bei der Beschreibung ätiologischer Faktoren auf die Determinanten konzentrieren, die einer erhöhten Energiezufuhr zugrunde liegen und sich nicht mit der Feststellung einer erhöhten Nahrungszufuhr zufriedengeben.

Trotz aller Kritik an einer vereinfachten Energiebilanzierung, wird eine positive Energiebilanz als eine notwendige Voraussetzung zur Manifestation der Adipositas gesehen.

Nach Lässle (1990) kann dabei „theoretisch die Energiezufuhr erhöht, der Energiebedarf durch Bewegungseinschränkung vermindert oder aber auch der Energiestoffwechsel generell verändert sein“ (S. 432).

Wirth (1997) berichtet  über eine sokratische Debatte zwischen Trayhurn und Schoeller beim Internationalen Adipositas-Kongreß in Toronto von 1994. Die beiden Experten kommen zu dem Ergebnis, daß die Initiierung der Adipositas nicht durch eine vermehrte Nahrungsaufnahme erklärbar ist. Vielmehr sei zu diesem Zeitpunkt ein erniedrigter Grundumsatz, eine verminderte Thermogenese oder eine reduzierte körperliche Aktivität wesentlich. Steigt beim Adipösen das Gewicht weiter an, sei dies in erster Linie auf eine weitere Erhöhung der Energiezufuhr zurückzuführen.